Ein ungeschminkter Blick zurück

21.04.2021 - 23:32

 Laura Hansen nimmt Abschied vom Leistungssport. Die 30-Jährige, die beim SV Sonsbeck ihre Laufbahn begann, hat in der Leichtathletik viele Erfolge feiern dürfen. Aber sie musste auch einige Tiefschläge wegstecken, über die sie heute ganz offen spricht.

„Ich möchte die Zeit nicht missen, denn ich habe viele tolle Menschen kennengelernt. Aber ich habe meinem Körper oftmals auch zu viel zugemutet, bin zu oft über die Grenzen gegangen und habe mir so selbst viel kaputt gemacht“, sagt Laura Hansen. Ihr künftiges Motto: „Lieber zu 100 Prozent gesund als zu 100 Prozent fit.“

Im Alter von acht Jahren hatte die Sonsbeckerin mit der Leichtathletik begonnen. Beim SV Sonsbeck blieb ihr Talent, vor allem in den Lauf-Disziplinen, nicht lange verborgen. Dennoch absolvierte Hansen lange Zeit auch Mehrkämpfe, war dort auf Landesebene auch recht erfolgreich. Doch mit 16 Jahren folgte dann die Spezialisierung auf die lange Sprint-Distanz, auf Anraten ihres Trainers Werner Riedel sollte sie den Fokus auf die 400 Meter Hürden legen. „Im Trainingslager meinte er, dass wir es mal ausprobieren sollten, weil ich zum einen die läuferischen Fähigkeiten für diese Strecke hätte und auch über eine gute Hürdentechnik verfügen würde“, so Hansen.

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Nach ihrem Titelgewinn im Jahr 2007 trug sich Laura Hansen im Beisein von Trainer Werner Riedel (l.) und Sonsbecks damaligen Bürgermeister Leo Giesbers (r.) ins Goldene Buch der Gemeinde ein. Foto: Armin Fischer

Sie befolgte den Rat, was sich als richtige Entscheidung herausstellen sollte. Im Jahr 2007 holte sie sich, damals noch etwas überraschend, den Deutschen Jugendmeistertitel über 400 Meter Hürden. Ein Jahr darauf wiederholte sie diesen Erfolg. Und setzte bei der U20-Weltmeisterschaft im polnischen Bydgoszcz noch einen drauf, als sie in 57,46 Sekunden Fünfte wurde und dabei eine Medaille nur um 38 Hundertstelsekunden verpasste.

Im Jahr 2009 musste Laura Hansen dann jedoch einen Schicksalsschlag hinnehmen, der nicht nur ihr sportliches Leben nachhaltig beeinflusste. Ihr Vater verstarb im März vollkommen unerwartet. „Das hat mich sehr aus der Bahn geworfen. Ich fühlte mich alleine gelassen, hab mich ins Training geflüchtet, dort zu oft zu viel gemacht. Ich habe versucht, meine Probleme und meine Traurigkeit förmlich wegzurennen“, erzählt sie.

Trotzdem gelang es Hansen nicht nur, noch im selben Jahr ihr Abitur zu machen, sondern nach einer eher durchwachsenen Saison auch im Jahr 2010 wieder zu alter Leistungsstärke zurückzufinden. Mittlerweile für den TSV Bayer 04 Leverkusen startend, weil sie in Köln ein Studium der Wirtschaftswissenschaften begonnen hatte, wurde sie abermals Deutsche Juniorenmeisterin über 400 Meter Hürden, holte sich dazu noch den nationalen Titel mit der Staffel und lief in diesem Jahr auch ihre persönliche Bestzeit von 56,79 Sekunden.

Doch die guten sportlichen Ergebnisse überstrahlten eben nicht alles. Probleme mit Rücken und Muskulatur stellten sich ein. „Außerdem habe ich mich schlecht versorgt“, sagt sie und spielt damit auf ihre Essstörung an. „Ich habe den Tod meines Vaters nie richtig verarbeitet. Es lief alles komplett aus dem Ruder“, so Hansen, deren damaliger Trainer Karl-Heinz Düe sie darauf aufmerksam machte, dass es so nicht weitergehen könne und dass etwas passieren müsse.

Ein Klinik-Aufenthalt und ein Tapetenwechsel (Umzug nach Dortmund und Wechsel zum LAC Dortmund) brachten dann auch tatsächlich wieder mehr Struktur in Hansens Leben. „Das waren wichtige Schritte. Ich hatte wieder ein Schema, an dem ich mich orientieren konnte.“ Die Hürden-Spezialistin, die sich fortan mehr auf die 800 und 1500 Meter konzentrierte, nahm eine Ernährungsberatung in Anspruch, arbeitete zudem an ihrer Selbstwahrnehmung. „Das klappte auch ganz gut. Aber ich will auch nicht verschweigen, dass ich dennoch manchmal am Start stand und dachte: ,Mein Gott, ich bin die Dickste’. Und richtig unbeschwert zu essen fällt mir auch heute noch schwer.“

Und dass sich die sportlichen Erfolge nicht mehr so einstellen wollten, wie dies zu Glanzzeiten in den Jahren 2007, 2008 und 2010 der Fall war, nagte ebenfalls an ihr. „Die Spritzigkeit war einfach weg. Ich konnte trainieren, wie ich wollte, die Zeiten wurden einfach nicht besser.“ Eine Endlauf-Teilnahme bei der DM sowie eine Bestzeit von 2:07,25 Minuten über 800 Meter – mehr sprang am Ende nicht heraus. „Für mich war das enttäuschend, ich wollte um Medaillen laufen“, sagt sie.

Nun hat Laura Hansen das Buch zugeschlagen, will den Druck herausnehmen, will, dass sich ihr Körper von den Strapazen erholt. Und sie möchte ihre Erfahrungen, die sie im Leistungssport gemacht hat, an Kinder und Jugendliche weitergeben. „Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass eine Gewichtsreduzierung der Leistungssteigerung dienlich ist. Man betreibt vielmehr Raubbau am eigenen Körper“, sagt sie. Und Hansen legt den Finger noch tiefer in die Wunde. „Der Leistungssport mag nicht der einzige Grund für Essstörungen sein. Aber er ist ganz sicher ein Nährboden hierfür.“

 Sport, da ist sich Laura Hansen allerdings ganz sicher, wird auch künftig einen großen Spielraum in ihrem Leben einnehmen. Vier bis fünfmal in der Woche läuft sie zwischen acht und 15 Kilometer. Dazu steigt sie hin und wieder aufs Rennrad und Krafttraining steht auch noch auf dem Programm. Und ihr Beruf beim TSC Eintracht Dortmund, den sie nach abgeschlossenem Studium im November des vergangenen Jahres aufgenommen hat, beinhaltet ebenfalls eine starke sportliche Orientierung. Sie kümmert sich dort um die Lauftreffs, hilft aber auch bei den Planungen von Events. „Das macht mir sehr viel Spaß. Und wenn ich dazu noch Kindern helfen kann, nicht die selben Fehler zu machen wie ich, ist das ebenfalls eine gute Sache“, sagt Laura Hansen.


Link RP Bericht

 

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